Teil 3
Die Kollegen in Villach hatten rasch reagiert. Es zeigte sich dasselbe Muster wie zuvor in Wien, Wolfsberg und Klagenfurt. Nur, dass es sich in Villach um einen „Klimakleber“ handelte, der höchst unsanft entseelt worden war. Und tatsächlich konnten die Mitarbeiterinnen der „Oberen Apotheke“ berichten, dass kurz zuvor auch bei ihnen ein großer, hagerer Mann Passedan gekauft hatte. Klinger und ihre Kärntner Kollegen hielten die Fakten fest. Offenkundig zog ein Serienmörder quer durch Österreich. Und besah man sich die Opfer, dann handelte es sich offenbar um einen Auftragskiller. Klingers Wiener Abteilung hatte in der Zwischenzeit die Identität des Wiener Opfers ermittelt. Ein kurdischer Aktivist aus Syrien. Anscheinend war der Passedan-Killer, wie Klinger ihn scherzhaft nannte, eine international bekannte Größe, an die man sich wandte, wenn man jemanden aus dem Weg geräumt haben wollte.
„Schauen wir doch einmal, ob es außer den uns bis jetzt bekannten Fällen noch Morde gibt, die in unser Schema passen!“ Sie startete einen entsprechenden Aufruf, und nur wenig später meldete sich ein Vertreter der Landespolizeidirektion Steiermark. Bei ihnen sei ein kroatischer Geldwäscher in Voitsberg ermordet worden, vor einer Woche erst. Bei dem Toten habe man eine leere Flasche Passedan gefunden, der man erst keine Bedeutung beigemessen habe. Nun aber erscheine die Angelegenheit in einem anderen Licht, und tatsächlich habe zur Tatzeit ein großer Mann in der Apotheke Krems eben dieses Medikament besorgt. Klinger wollte schon für die Information danken, doch der Steirer wusste noch mehr zu berichten. „Und in Leibnitz zwei Tage danach dasselbe Schema. Diesmal ein libyscher Geschäftsmann. Routinemäßig haben wir in der dortigen Linden-Apotheke nachgefragt, und wir haben dieselbe Personenbeschreibung mit derselben Bestellung erhalten.“
Klinger setzte sich an die Schreibtischkante. Das hatte es wohl in Österreich schon sehr lange nicht mehr gegeben. Ein halbes Dutzend Morde innerhalb zweier Wochen. Ein Wunder, dass die Medien die Sache noch nicht aufgegriffen hatten. Sie kam nicht dazu, weiter ihren Gedanken nachzuhängen, denn ein E-Mail aus Altenmarkt im Pongau informierte sie darüber, dass die dortige Tauern-Apotheke ebenfalls vom Passedan-Mörder besucht worden war, wenngleich es dort offenbar zu keiner Tat gekommen war.
„Vielleicht ist ihm sein Opfer dort entwischt?“, mutmaßte der Klagenfurter Polizist, der Klinger gegenübersaß. „Möglich. Die Sichtung in Altenmarkt war vorgestern. Vielleicht hat unser Mann seine Zielperson von dort nach Kärnten verfolgt“, vermutete Klinger. „Das könnte passen. Deine Wiener haben gerade berichtet, dass der Kurde bei den Schwechater Kollegen Klage geführt habe, dass er sich schon am Flughafen verfolgt gefühlt habe. Die sind dem nicht weiter nachgegangen, weil der Mann ihnen komisch vorgekommen ist. Aber jetzt?“ Klinger nickte. „In Schwechat gibt es sicher auch eine Apotheke.“ Ihr Gegenüber sah kurz im Netz nach. „Ja, die Stadtapotheke am Hauptplatz. Soll ich dort auch nachfragen?“
Klinger schüttelte den Kopf. „Das wird nicht nötig sein. Der Mörder wird sein Ziel vom Wiener Flughafen verfolgt und eben dann in Meidling gestellt haben. Da geht er nicht extra ins Zentrum von Schwechat, um sich seine Medizin zu holen.“ Dem Klagenfurter schien der Gedanke einleuchtend.
„Was ich mich frage ist vielmehr, was ist das für ein Typ, unser Mörder? Da knallt der kreuz und quer durch Österreich reisend massenhaft Leute ab und braucht dafür ein Mittel, um seine Nerven zu beruhigen? Echt jetzt? Wie passt das zusammen?“
„Vielleicht hat er so etwas wie ein Gewissen?“, schlug der Kärntner vor. Klinger lächelte matt. „Dann hat er aber die falsche Berufswahl getroffen, würde ich einmal meinen.“ Der Klagenfurter zuckte mit den Achseln. „Vielleicht ist das ja gar nicht sein Beruf, und er ist gezwungen, diese Taten zu begehen?“
Klinger lachte laut auf: „Ein Aushilfskiller?“ Sie schüttelte den Kopf. Doch ihr Kollege blieb hartnäckig. „Wer weiß, vielleicht hat irgendjemand irgendetwas gegen ihn in der Hand, weshalb er die Morde begehen muss.“ Klinger schmunzelte immer noch. „Das gibt´s höchstens im Film.“
„Eine finanzielle Notlage?“ Klinger griff den neuen Vorschlag auf. „Gut, das könnte immerhin sein. Aber so jemand hat dann wohl kaum einen derart weitverbreiteten Ruf, dass sich Russen, Ukrainer, Türken, Kroaten und Nordafrikaner an ihn wenden. Da muss also etwas anderes dahinterstecken.“